Mechanische Musikinstrumente
Musik ist ein elementares Bedürfnis des Menschen. Da die menschliche Stimme in bezug auf Tonumfang, Klangfarbe und Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt ist, entwickelte der Mensch schon sehr frühzeitig Musikinstrumente. Zum Beherrschen dieser Instrumente gehörten jedoch Fertigkeiten, die ein gewisses Maß an Musikalität und manuellem Geschick voraussetzten. Mit fortschreitender Entwicklung im Instrumentenbau stiegen auch die Ansprüche an die Fähigkeiten des Interpreten, und nur wenige gelangten über das Stadium des Dilettanten hinaus.
Wir, die wir uns heute von Musik wecken lassen, mit Musik arbeiten und essen, im Theater, im Kino, in der Disco, im Restaurant von Musik berieselt werden und dann mit Musik wieder einschlafen, können uns die Stille, das Bedürfnis nach Musik in früheren Jahrhunderten kaum noch vorstellen. Zwar gab es in den größeren Städten ab und zu Konzertveranstaltungen - in den Kleinstädten und Dörfern hingegen war eine 2-Mann-Tanzkapelle, ein Leierkasten oder Bänkelsänger ein musikalisches Ereignis.
Da in früheren Jahrhunderten nur wenige die Möglichkeiten und Fähigkeiten besaßen, ein Instrument zu erlernen, ist es nicht erstaunlich, daß schon sehr früh der Wunsch nach selbstspielenden Instrumenten auftauchte. Nicht die Lust an einer technischen Spielerei, nicht die Freude über die Verblüffung der Zuhörer war die Triebkraft für diese Entwicklung, sondern ausschließlich das Bedürfnis des Menschen nach Musik.
Die ältesten noch erhaltenen mechanischen Musikinstrumente sind die Glockenspiele alter Kirchen, Dome und Münster, die sich bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Die erste Blütezeit erlebte die Entwicklung mechanischer Musikinstrumente um 1600 in Augsburg: talentierte Handwerksmeister wie z.B. Uhrmacher, Tischler, Mechaniker, Orgel- und Spinettbauer schufen hervorragende Kunstwerke mit selbstspielenden Instrumenten für die meist fürstlichen Auftraggeber. Im 18. Jahrhundert erlebte die Flötenuhr ihre erste Blüte. Hiermit hielten mechanische Musikinstrumente erstmals Einzug in begüterte Bürgerhäuser. Auch Komponisten begannen sich für diese Instrumente zu interessieren: Händel, Haydn, Mozart und sogar Beethoven schufen Flötenuhr-Kompositionen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begnügten sich Konstrukteure und Musikfreunde nicht mehr mit musizierenden Uhren - man begann vielmehr, ganze selbstspielende Orchester zu konstruieren, die sogenannten Orchestrions. Einer der bedeutendsten "Musikmechaniker" war Johann Nepomuk Mälzel, für dessen Riesenorchestrion, das sogenannte Panharmonikon, Ludwig van Beethoven das Schlachtengemälde "Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Victoria" komponierte. Gleichzeitig wurden im Schwarzwald die ersten Drehorgeln gefertigt. Diesen Instrumenten, die leider viel zum Negativimage der mechanischen Musikinstrumente beigetragen haben, kommt eine hohe kulturhistorische und kunstgewerbliche Bedeutung zu. Erstmals ging die Musik auf die Straße und kam somit zu den Leuten.
In der Schweiz wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Spieldose entwickelt. Sie enthält als "Musikinstrument" den sogenannten Tonkamm, dessen unterschiedlich gestimmte Stahlzähne durch Stifte auf einer Messingwalze angerissen werden. Während die meisten mechanischen Musikinstrumente Klangerzeuger besitzen, die auch in handgespielten Musikinstrumenten vorkommen, handelt es sich bei dem Tonkamm um einen speziell für Frühe Walzenspieldosemechanische Musikinstrumente konzipierten Klangerzeuger. Schweizer Spieldosen fanden weiteste Verbreitung und wurden in alle Welt exportiert. Ein großer Nachteil der Walzenspieldosen bestand jedoch in ihrem begrenzten Musikrepertoire: meist spielt eine Walze 6 Musikstücke. Da die Walzen nicht austauschbar waren, mußte man - war man der Musik überdrüssig - eine neue Spieldose kaufen. Es war deshalb ein entscheidender Fortschritt, als um 1880 die Stiftwalzen in Spieldosen durch auswechselbare, gelochte oder mit Noppen versehene Pappoder Metallplatten ersetzt werden konnten. Im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung wurden diese Plattenspieldosen zu Hunderttausenden hergestellt und so preisgünstig angeboten, daß sie für jedermann erschwinglich waren. Deutschland entwickelte sich - neben den USA - zum bedeutendsten Exportland für Mechanische Musikinstrumente.
Dennoch konnten all diese Instrumente hohen musikalischen Ansprüchen nicht genügen: erst mit der Entwicklung des pneumatisch gesteuerten selbstspielenden Klaviers war es möglich, Musik in hoher Perfektion zu reproduzieren. So entwickelte z.B. die Firma Welte & Söhne in Freiburg 1904 ein Verfahren das es ermöglichte, das Originalklavierspiel berühmter Pianisten und Komponisten auf eine Papierrolle aufzuzeichnen und mit allen dynamischen und agogischen Details auf einem entsprechenden Instrument selbsttätig wiederzugeben. Nach zeitgenössischen Berichten sind diese Reproduktionen kaum vom Originalklavierspiel des Pianisten zu unterscheiden.
So verfügen wir heute über eine Vielzahl an Notenrollen, die von bedeutenden Pianisten - darunter viele Liszt-Schüler - und Komponisten der Jahrhundertwende eingespielt wurden, wie z.B. Eugen d'Albert, Paderewski, Busoni, Elly Ney, Wilhelm Backhaus, Debussy, Grieg, Mahler, Saint-Saens oder Richard Strauß. Diese Aufnahmen, die mit einem gut restaurierten Instrument auch heute noch perfekt wiedergegeben werden können, stellen wichtige Dokumente für Musikwissenschaftler dar - sowohl was den Interpretationsstil vergangener Pianistengenerationen als auch was die authentische Auffassung der Komponisten anbetrifft.
Obwohl die Konstruktion eines perfekt spielenden mechanischen Klaviers schon eine nahezu unlösbare Aufgabe schien, versuchten sich die Konstrukteure sogar am Bau von selbstspielenden Violinen - und auch dies mit grandiosem Erfolg. Die Firma Hupfeld aus Leipzig brachte um 1910 eine Violine mit Klavierbegleitung auf den Markt, die sofort als 8. Weltwunder bestaunt wurde. Sie enthält drei Violinen, von denen jeweils nur eine Saite mit Hilfe eines rotierenden Rundbogens gespielt wird.
Es gab nur wenige Instrumente, die nicht selbstspielend gestaltet wurden. Ca. 1.400 deutsche Patentschriften bezeugen den Erfindergeist der Konstrukteure. So gab es z.B. selbstspielende Celli, Flöten und Trompeten, Mund- und Zieharmonikas, Guitarren und Banjos, Mandolinen und Zithern, Harmoniums und Harfen, ja selbst große Kirchenorgeln wurden selbstspielend gebaut.
Als nach dem ersten Weltkrieg das Grammophon seinen Siegeszug antrat, mußten nach und nach alle Musikwerke-Fabriken ihre Tore schließen. Selbstspielende Musikinstrumente führten jahrzehntelang ein Schattendasein. Den Aktivitäten einiger engagierter Sammler ist es zu verdanken, daß man heute die musik- und kulturhistorische Bedeutung dieser Instrumente wieder würdigt.
Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jürgen Hocker